Regeltechnisch benutze ich das Kompendium- System von V3 (englisch) mit Punktevergabe und Vor- und Nachteilen; dabei habe ich jedoch ein paar winzige Veränderungen in den letzten Jahren vorgenommen, weil man immer auf Unregelmäßigkeiten, z.B. bei der Anzahl der zu vergebenden Punkte.
Den Hauptteil der Charaktererschaffung nimmt jedoch das Herauskristallisieren der Persönlichkeit und vor allem der Umgebung des Chars ein. Welche Fertigkeiten hat er warum und wie stark erworben? Passt die Hintergrundgeschichte zu dem gewünschtem Startgeld? Welche NPCs sind für diesen Char besonders wichtig (Freunde und Feinde)? In welchem Stadteil möchte man wie wohnen und welche möglichen Vorurteile gegen andere Stadtteile könnten vorherrschen (Gangvergangenheit, arm und reich, ländlich oder Downtown...), Schleicher oder Aktionheld? Intellektuell oder Bauern-Schlau? Fashion-Victim oder Squatter ? Cyber, Low-tech, natürlich oder magisch und was sagt das über die Persönlichkeit und NPC-Dichte um einen Char? Konzern, Firma, Angestellter oder Gangvergangenheit?
Es ist also bei der Charerschaffung wie ein Vorstellungsgespräch an sich selber und ich rede viel mit dem Spieler über den neuen Char und möchte, dass, wenn er die Welt betritt, genau weiß, wo seine Kaffeemaschine steht, wen er anrufen muss, wo in seine Hose er greifen muss für ein Trauma-Patch usw, d.h. ein Spielercharakter soll sich in der Welt gefestigt anfühlen, in Persönlichkeit und sozialer Hinsicht, sobald er zum ersten Mal am Spiel teilnimmt.
ich bin also jemand, der möchte, dass sich Chars nicht wie Werkzeuge anfühlen, bis sie sich etwas entwickelt haben. Dann kennt der Spieler den Char gut und ich auch und kann immer mal peronifizierte Sachen in ein Abenteuer ohne große Anstrengung einbauen, was das Abenteuer und das Leben der Chars viel plastischer und greifbarer macht und man nicht nur an den bloßen Zahlen sieht, dass der Char sich entwickelt, sondern merkt es auch an der Geschichte. Dies ist auch der Grund, warum ich meist fertige, gekaufte Abenteuer nicht mag, da man sich nur eine Perlenkette entlanghangelt und man darf nicht links und rechts und der SL ist total verwirrt, wenn etwas anderes passiert.
Meine Art zu leiten sind ja auch eher Notizen auf einem Bierdeckel und keine langen Texte; die nützen mir gar nichts, wenn sich die Spieler völlig anders verhalten.
Kleine Anekdote dazu mit mir als Spieler: AD&D-Abenteuer, Karawane wurde überfallen und die SCs finden die Reste des Überfalls, ein kleines Kind, welches schwer verletzt wurde und durch einen kleinen Dungeon in die nächste Stadt zu einem heiler gebracht werden sollte. Die SCs verbinden jedoch das Kind so gut es geht und gehen in die andere Richtung den Räubern ohne eine großartige Spur hinterher. weg von jeder Zivilisation... da habe ich zum ersten Mal jemand Schwitzen sehen am Tisch, weil es einfach alles nur skuril und aus dem Ruder lief; sowas habe ich als SL noch nie erlebt... geht ja auch schlecht mit nur einem halben DIN-A4-Blatt für eine ganze Kampagne^^.
Auch wenn ich an Fantasy-Spiele insgesamt denke, fühlt es sich zu 99% an, als hätte man nur gewürfelt, sich schnell einen Namen überlegt und GoGoGo. Ebenso wie die SR-Chars, haben auch meine Earthdawn-SCs einen Start in die fantastische Welt, die sich ähnlich wie in SR anfühlt; man weiß, wer man ist und was man kann und wo man hingehen kann und man ploppt nicht einfach in einer Taverne auf und wartet auf den ersten Auftrag.
Damit das sehr reibungslos funktioniert, ermutige ich Spieler dazu, dass ihre Chars ähnlich handeln würden, wie sie selber in der Situation (Chars etwas dümmlich spielen und etwas arrogant usw geht natürlich immer). Dies begründe ich damit, dass man sich eben am besten in eine neue Welt hineindenken und entdecken kann, wenn man sie quasi mit eigenen Augen, Gedanken, Gefühlen und Intelligenz und Meinungen sieht; so fällt der Einstieg noch leichter.
Meine Freundin, die noch nie Earthdawn oder Shadowrun gespielt oder gelesen hat, hat auch nach meiner Erklärung der Welten einen Char gewählt, der ihr am nächsten kommt; sie spielt intelligente Chars da sie eine medizinische Ausbildung hat und Medizin studieren möchte, hat sie ihre Hintergrundgeschichte und Fertigkeiten etwas dieser Vorliebe angepasst.
Und was ich am meisten verhindern möchte sind Chars, die entweder das Gegenteil ihrer eigenen Persönlichkeit spielen, oder regeltechnisch sich etwas zusammenfrickeln... wie oft habe ich schon erlebt, dass die Leute dann mit Cybertech-Gestaltwandler-Vampir-Magiern als Syndikatsbossen ankamen, weil es "regeltechnisch möglich wäre". Einfach nein.
SCs sollen sich anfühlen wie ein sehr ähnlicher Avatar in einer Rollenspielwelt, das ist mein Hauptgedanke, wo bei der Charaktererschaffung sehr viel Zeit draufgeht, aber es lohnt sich für meinen Spielspaß und auch für den Spielspaß der neuen Interessierten.
LG.